Schmetterlinge fangen. Versuch über das Glück

Die dritte Ausgabe der Zeitschrift „gangart – eine Region in Bewegung“ ist erschienen. Und wir waren wieder sehr umtriebig – mit einer Coverstory über das Glück und einer ganzen Menge intensiver Begegnungen und Reportagen. Wir haben viel gearbeitet und wir haben viel gelacht. Danke Manfred für Zusammenarbeit und Freundschaft! Übrigens: Wer die „gangart“ nicht gedruckt in die Hände kriegt, kann sie auf der Website von WM Sport Abtenau herunterladen. Viel Spaß damit!
Hier die nackte Coverstory, ganz  ohne Factboxes … zur Kostprobe 😉
Copyright: Charlotte Morse
Copyright: Charlotte Morse
Alle reden vom Glück. Alle wollen es haben und an jeder Ecke wird es angeboten. Es gibt so etwas wie einen Terror des Glücks, der es dem Menschen schwer macht zuzugeben, wenn er sich einmal nicht wohlfühlt. Weil Glück mit Erfolg gleichgesetzt wird. Und Erfolg die Latte ist, über die wir zu springen haben.

Der griechische Philosoph Aristoteles meint, dass fast alles, was wir in unserem Leben tun, darauf abzielt, unser Glück zu vergrößern. Wenn dem so ist, dann tun wir es offensichtlich mit den falschen Mitteln – oder mit dem falschen Weltbild. Denn was sich vergrößert, sind nur Neid und Misstrauen, solange Menschen als Ego-Maschinen gedacht werden und ihr je eigenes Glück um jeden Preis suchen. Wer – so wie in unserer Kultur üblich – davon ausgeht, dass jeder Mensch nur aus Eigennutz handelt bzw. auf seinen persönlichen Vorteil aus ist, der schafft ein Monster, mit dem man zwar gut rechnen, aber ziemlich schwer leben kann. Folgerichtig hält Lynn Stout, Juristin und Finanzexpertin an der Cornell-Universität fest: „Der homo oeconomicus ist ein Soziopath.“

Fest steht, dass diese Art der Bedürfnisbefriedigung uns auf der Suche nach dem Glück nicht viel weiterbringt. Wir stecken sozusagen im Ich-Panzer fest, der uns vom Rest der Welt abschottet. Und wir sind ratlos, weil Besitzvermehrung und Glücksvermehrung sich keineswegs hochschaukeln wie versprochen. Das zeigt auch die Rangliste der glücklichsten Länder der Welt. Dort rangiert Mexiko vor Australien, obwohl sein Pro-Kopf-Einkommen von 7000 USD im Jahr fünf mal kleiner ist. Eine Erklärung liefert das Journal of Happiness Studies:

Sobald man einen annehmbaren Lebensstandard erreicht hat, ungefähr das heutige Niveau von Mexiko, vermehren weitere Wohlstandssteigerungen das Glück nicht mehr.“

Mit anderen Worten können Marktwirtschaften uns dabei helfen, aus dem Sumpf von Armut und Unterdrückung zu steigen. Güter, die darüberhinaus unser Wohlbefinden vermehren, produzieren sie nicht. Die isländische Psychologin Dóra Gudrun Gudmundsdottir, deren Land diese Rangliste anführt, kommt nach eingehender Analyse der ihr zur Verfügung stehenden Daten zu dem Ergebnis, dass nur 4% des Glücks auf Island mit dem Geldeinkommen zu tun hat. Über den Rest, also die 96%, sollten wir uns Gedanken machen. Die Isländer sind sich ihrer Sache jedenfalls sicher. So sicher, dass die „10 Gebote der seelischen Gesundheit“ auf Kühlschrankmagneten gedruckt und an jeden Haushalt des Landes verschickt wurden.

Innen und außen

Die Frage ist: Bedeutet Glück für eine isländische Krankenschwester das gleiche wie für einen japanischen Autorennfahrer oder einen Schweizer Rentner? Und ist Glück wirklich das, wonach alle streben? Oder ist es nicht vielmehr so, dass wir dem Erfolg, oder was die Gesellschaft uns als erstrebenswerte Ziele vorgibt, nachjagen und dabei auf das Glück vergessen? Das wahre Glück wohlgemerkt und keine vergängliche Empfindung, die sich bei einem kühlen Bier einstellt oder wenn wir uns nach der Arbeit auf die Couch fallen lassen. Für den Psychologen Robert A. Cummins, der seit 2001 das Glücksniveau der Australier misst, ist Glück ein tiefgreifender emotionaler Zustand, der wie eine Gemütslage auch dann präsent ist, wenn wir nicht gerade eine akute Glückswallung erleben.

Wenn zwei Menschen vom Glück reden, können sie ganz Verschiedenes meinen. Was im Englischen sauber getrennt wird – „Luck“ (Glück haben) und „Happiness“ (glücklich sein) –, ist im Deutschen in einem Wort untergebracht, was die Sache nicht unbedingt erleichtert. Wir haben Glück im Lotto oder wenn wir am Wochenende dem Stau entkommen, sind aber deswegen noch lange nicht glücklich. Gleichzeitig verbringen wir viel Zeit damit, über Dinge zu klagen, die andere haben und wir nicht; oder über Dinge, die uns zugestoßen sind und die wir nicht ändern können. Was wir dabei übersehen, ist, dass Glück nicht von außen kommt oder ohne unser Zutun passiert; dass wahres Glück kein Ziel ist, sondern eher eine Reise, zu der man aufbrechen muss. Dazu müssen wir aufhören, uns permanent mit anderen zu vergleichen und ihr nach außen schillerndes Glück argwöhnisch zu betrachten. Wie das Glück von innen aussieht, werden wir nur erfahren, wenn wir unsere eigenen Stärken erkennen und einen Weg finden, diese Stärken anzuzapfen.

Erfolgreiche Sportler wissen, dass sie sich auf den Sieg konzentrieren müssen und nicht auf die Niederlage. Warum konzentrieren sich dann Menschen, die ihr Glück vermehren wollen, auf ihr Unglück? Oder ihre Defizite? Das Glück ist wie ein Muskel, der wächst, wenn man ihn trainiert. Einen entscheidenden Trainingshinweis dazu liefert erneut Aristoteles, der das Glück als Fähigkeit beschreibt,

als Person zu erblühen, das zu besitzen, was für einen Menschen am wertvollsten ist, seinem eigenen Geist treu zu bleiben.“

Glück als Gegenstück zur Entfremdung? Wir kommen der Sache näher. Der Filmemacher Chris Marker erzählt von einer chinesischen Prinzessin, die es liebte, Listen von Dingen zu erstellen, die ihr wichtig waren. Bis sie einmal die Liste der Dinge erfand, die ihr Herz schneller schlagen lassen. Könnte dies ein Motto sein, nicht nur für seinen Film, sondern auch für diesen Text? Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass bei glücklichen Menschen das Blut schneller pulsiert. Drei bis fünf Herzschläge sollen das Glück vom Normalzustand trennen.

Wo aber bitte liegt das Glück, wenn es nicht auf der Straße liegt?

Glück hat mit Begeisterung zu tun und beginnt im eigenen Kopf. Genauer: in einem Zellhaufen im Mittelhirn. Hier wird der Botenstoff Dopamin hergestellt, ein Hormon, das nicht nur unser Glücksempfinden steigert, sondern auch dafür sorgt, dass neue Synapsenverbindungen entstehen. Wenn Kinder sich für etwas begeistern, bleibt die Zeit rund um sie stehen. Sie saugen die Umgebung auf und werden eins mit ihr. Sie zeigen uns, dass Glück im Hier und Jetzt zuhause ist oder nirgendwo; dass Glück ein Seinszustand ist, den es wiederzufinden gilt.

Glück ist, was wir tun und was wir zu erreichen versuchen, oft trotz all der Dinge, die um uns herum geschehen. Glück ist, feiern zu können, wer wir sind und was wir tun. Feiern zu können, sogar unter widrigen Umständen,“

meint Wasundhara Joshi, Kinderäztin in Mumbai (Indien), die in ihrem Leben schon viel Unglück gesehen hat. Wasundhara Joshi erzählt von zwei Frauen, die das gleiche Schicksal teilen und trotzdem so verschieden sind in ihrem Wohlbefinden:

Der entscheidende Unterschied liegt in der Geschichte, die diese Frauen sich darüber erzählen, wer sie sind – die Umstände, in denen sie leben und darüber, ob sie sich selbst als kraftvoll genug sehen, etwas zu verändern.“

Geschichten verbinden Ereignisse und Menschen. Wir sind die Geschichten, die wir über uns erzählen. Und wir sind nicht allein. Andere Menschen geben unserem Leben einen Sinn, auf dessen Boden Glück wachsen kann. Im World Book of Happiness ist von einer zwischenmenschlichen Dimension des Glücks die Rede, die weltweit zu gelten scheint; unabhängig davon, ob man – wie in westlichen Kulturen – eher das Glück des Einzelnen betont, oder – wie in östlichen Kulturen – die Gemeinschaft eine stärkere Rolle spielt.

Zwei italienische Psychologen machten mit ihren Studenten ein Experiment, um deren Glückniveaus zu messen. Es war ein Investitionsspiel, das vorsah, dass einige Geld ausgeben konnten, indem sie es anderen schenkten. Andere wiederum mussten warten, bis sie etwas bekamen, um ins Spiel einzusteigen. Die Ergebnisse zeigten deutlich, dass sich Menschen wohler fühlen, wenn sie zum sozialen Wohlergehen beitragen, selbst wenn dies ihren individuellen Gewinn schmälert. Dass Geben glücklicher macht als Nehmen, kann auch auf das Glück selbst angewandt werden. Nach dem I Ching (dem chinesischen Buch der Wandlungen) können Menschen ihr eigenes Glück nähren, indem sie andere glücklicher machen und harmonische Beziehungen mit ihrer Umwelt aufbauen.

Die Lehre vom Bruttosozialglück

Aber was, wenn diese Umwelt eine feindliche ist oder die Werte nicht teilt, die einem selbst wichtig sind? Die gute Nachricht: Sie haben keine andere Wahl. Sie müssen ohnehin bei sich selbst beginnen. Dass das im Großen genauso geht wie im Kleinen, zeigt das Königreich Buthan seit einigen Jahren der ganzen Welt. Im „Land des Donnerdrachens“ hat man sich entschieden, der „Diktatur des Bruttoinlandsprodukts“ mit einer Philosophie des „Bruttosozialglücks“ entschlossen entgegenzutreten und behauptet sich seitdem durchaus erfolgreich als kleine, widerständige Insel in einer globalisierten und entfesselten Marktwirtschaft.

Im Gegensatz zu westlichen Vorstellungen hat Bruttosozialglück nichts mit Gute-Laune-Glück zu tun. Es ist im buddhistischen Konzept des Mitgefühls verankert, der Verbesserung des Glücks aller Wesen. Ganzheitlich. Nicht nur den Einzelnen, sondern auch den Menschen als Spezies übersteigend. Es ist Kultur, Entwicklungsstrategie aber auch Index, der Indikatoren wie psychisches Wohlbefinden, Gesundheit, Zeitverwendung, Bildung, kulturelle Vielfalt und Widerstandskraft, Vitalität, und gute Führung umfasst. Und es hat sehr konkrete Auswirkungen auf politischer Ebene. Bürger haben kostenlosen Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung. Die Alphabetisierung beträgt nahezu 100%. Ein Großteil des Waldes steht unter Schutz. Werbung im öffentlichen Raum ist verboten. Es gibt Maßnahmen für eine 100% Bio-Landwirtschaft bis 2020 und Importbeschränkungen für Autos und Hubschrauber. Um seine Werte zu verteidigen hat sich Buthan entschieden, nicht der Welthandelsorganisation (WTO) beizutreten. Buthan schaut auf die anderen – aber ohne Neid, sondern mit einem gesunden Selbstvertrauen. Und die ganze Welt schaut staunend zurück.

Die ganze Welt? Zumindest jener Teil, für den Glück keine leere Hülle ist, in die man beliebig Konsumzwänge packen kann. Die Versuchung ist groß, denn der Glücksmarkt boomt. Nichts lässt sich leichter verkaufen als ein Glücksversprechen, wie vage es auch ist. Die Frage ist, wie man da wieder herauskommt – in einer Welt, die in einer Flutwelle von Anweisungen zum schnellen Glücklichsein zu ertrinken droht, wie Paul Watzlawick festhält. Am Ende seiner berühmten „Anleitung zum Unglücklichsein“ steht ein Zitat aus den Dämonen von Dostojewski:

Alles ist gut … Alles. Der Mensch ist unglücklich, weil er nicht weiß, dass er glücklich ist. Nur deshalb. Das ist alles, alles! Wer das erkennt, der wird gleich glücklich sein, sofort, im selben Augenblick …“

Vielleicht verhält es sich mit dem Glück ja so wie mit dem Schneeleoparden, dem Peter Matthiessen im Himalaja auf der Spur ist. Am Ende kommt er zu einem Mönch, der völlig allein und offensichtlich zufrieden seit Jahren in einer Felsnische lebt. Der Forscher will von ihm wissen, wie er zu der Einsamkeit und dem Schweigen steht, und wie er damit umgeht, dass er aufgrund seiner kranken Beine diesen Ort wohl nie wieder verlassen wird können. Die Antwort, die er bekommt, ist eine Weisheit, die man nur lange genug kauen muss:

Darauf stimmt dieser heilige Mann in all seiner spontanen Einfachheit lauthals ein ansteckendes Gelächter an. Ohne eine Spur von Selbstmitleid oder Bitterkeit zeigt er auf seine verkrüppelten Beine, als gehörten sie uns allen, und breitet dann die Arme zum Himmel und zu den Schneebergen, zur Sonne und zu den tanzenden Schafen aus: ‚Natürlich bin ich glücklich! Es ist wunderbar! Besonders, da ich keine andere Wahl habe.’ …. Mir ist, als hätte es mir einen Schlag in die Brust versetzt. Ich danke ihm, verbeuge mich und gehe dann langsam den Berg hinunter, die zusammengefaltete Gebetsfahne in meinem Anorak glüht wie Kohle. Buttertee und Windbilder, der Kristall-Berg und auf den Schneefeldern tanzende Schafe – es ist übergenug!

Hast du den Schneeleoparden gesehen?
Nein! Ist das nicht wunderbar?“

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