Meditationen über die Jagd

Unter dem Titel „WILD IM GEBIRGE. Meditationen über die Jagd“ wurde im November – die mittlerweile in New York, Chicago und Sacramento ausgezeichnete Kinoversion meines neuen Films und damit der Directors Cut – beim Bergfilmfestival in Salzburg und beim „MOUNTAINFILM“ in Graz gezeigt. Die „Alpenpost“ nahm dies zum Anlass, mit mir ein Gespräch zu führen.

Mit welchem Anspruch haben Sie diesen Film gedreht?

WT: Mir ging es um eine Tiefenansicht der Jagd, die ganz nah am Geschehen bleibt, jenseits des bekannten Für und Wider. Ich wollte die Jagd nicht erklären, sondern neu und anders erzählen – mit allen Konsequenzen für die Filmarbeit, weil man bis zum Schluss nicht weiß, wohin der Film einen führt und wie das Ende aussieht. 

Das klingt spannend, aber auch aufreibend …

WT: Das ist es auch. Wer Dokumentarfilm ernst nimmt, muss damit leben, dass die Geschichte sich erst im Schnitt offenbart. Bis dorthin heißt es, die Ungewissheit nicht nur auszuhalten, sondern zu umarmen: dass man bereit ist, sich überraschen zu lassen und jeder Tür, die aufgeht, Beachtung schenkt. Der Unterschied zwischen Spielfilm und Dokumentarfilm ist ja nicht, dass der eine Geschichten erzählt und der andere die Tatsachen abbildet. Der Unterschied, auf den ich beharre, ist, dass der Dokumentarfilm seine Geschichte aus dem Zuhören heraus entwickelt.

Noch nie zuvor wurde die Jagd so hinterfragt und diskutiert wie heute. Wie kann man beim Drehen, seine eigenen Positionen hinter sich lassen – bei einem Stoff, der sich eher für den runden Tisch eignet als für den Dokumentarfilm?

WT: Das ist genau der Punkt. Wir sind heute sehr geübt, Positionen zu beziehen und haben für fast alles eine Meinung parat. Schwerer tun wir uns beim Zuhören – wenn es darum geht, neugierig zu sein auf das Andere, Fremde und das Überraschende zuzulassen. Die Jagd ist so ein Fall. Sie wird entweder romantisch verklärt oder als mordlüstern abgetan. Und so verstellt seit Jahrhunderten die Ideologie den Blick auf das Wesentliche: das geheime Band des Jägers mit der Natur und dem Tod, das kaum wo stärker gewoben ist als im Gebirge.

Ich wollte mit diesem Film, den leisen Tönen der Jagd nachgehen und dem Archaischen auf der Spur sein; der intensiven Beziehung, die der jagende Mensch im Gebirge mit dem Wilden eingeht, dem Unberechenbaren und sich dem Zugriff Entziehenden.

Beim Drehen habe ich mir immer wieder selbst über die Schulter geschaut, weil ich mich wunderte, wie automatisch das passierte, dass die eigene Position der Neugier Platz gemacht hat. Das hat viel zu tun mit den Schauplätzen und Tageszeiten, aber auch mit den Menschen, mit denen wir hautnah unterwegs waren. Die Stimmungen, die man da einfängt, sind sehr intensiv. Da bewegt man sich automatisch mit offenem Mund.

Der Spanier José Ortega y Gasset hat mit seinem Buch „Meditationen über die Jagd“ ein Standardwerk geschaffen, welches die ethischen Standards der Jagd ganz hoch anlegt. Wie wichtig ist in der heutigen Zeit die Jagd-Ethik?

WT: Wenn ich ehrlich sein soll, ist mir das Buch erst in die Hände gefallen, als ich den Untertitel des Films bereits hatte. Ich denke, eine Ethik zu haben, ist immer wichtig – umso mehr, wenn man ein Gewehr in die Hand nimmt. Gleichzeitig ist es so, dass man durch den Verweis auf sie die Sache gern im Allgemeinen belässt und sich in Stereotypen flüchtet, anstatt genauer hinzuschauen. Deshalb interessiert mich im Film weniger die verallgemeinernde ethische Position, als vielmehr die spezielle Form der Interaktion von Mensch und Natur und was dabei zum Vorschein kommt.

Der Film ist auch ein Film über das Alleinsein und die Ausgesetztheit des Menschen im Gebirge, sobald er die ausgetretenen Pfade verlässt. Ein Film über das geheimnisvolle Band, das den Jäger mit der Natur und dem Wild verbindet und durch den Schuss immer wieder aufs Neue zerrissen wird. In diesem Sinne ist der Jäger exemplarisch für unsere Gattung, die wir fähig sind, unheimliche Nähen aufzubauen – und am Ende kracht es meistens.

Neben eindrucksvollen Wild-Szenen gibt es auch atemberaubende Landschaftsaufnahmen zu sehen. Nachdem Sie kein Jäger sind: Wie haben Sie sich dieser schwierigen Aufgabe angepirscht?

WT: Gepirscht haben die Jäger. Wir haben versucht, ihnen möglichst unaufdringlich zu folgen. Und sie haben uns vertraut. So vertraut, dass sie uns (das Filmteam mit Tom Höll, Lothar Hofer und Vera Polaschegg hinter der Kamera) beim Filmen immer wieder vergessen haben. Für dieses Vertrauen kann ich nicht oft genug „Danke“ sagen. Das ist nicht selbstverständlich, zumal das Drehbuch mehr Lücken als Text aufweist und man wie in diesem Fall programmatisch keine Ahnung hat, wie das Ergebnis aussehen wird.

Das ist die eine Ebene: Die Nähe zu den Jägern. Und dann gibt es die Bergnatur, die das Unvertraute und das Fremdsein, das ich betonen wollte, verstärken sollte. Also keine Holareidulio-Landschaft, sondern eine, die von der sphärischen Musik des Norwegers Ketil Bjørnstad und des Wiener Posaunisten Leonhard Paul, aber auch von den Texten von Leo Tuor und Ingolf Natmessnig aufgeladen wird. Diese Ebenen haben im Laufe eines halben Jahres langsam Konturen angenommen – durch viele persönliche Gespräche, Hinweise, Fährten, denen ich nachgegangen bin.

Für den Stand der Jäger ist es ungemein schmerzvoll, auf eine schießwütige, privilegierte Personengruppe reduziert zu werden. Wie haben Sie die Jägerschaft wahrgenommen?

WT: Früher war ich mit den Jägern eher auf Konfrontationskurs, weil ich als Kletterer immer wieder von den markierten Wegen runtergehe und auch viel auf Jagdsteigen unterwegs bin, die oft kaum „ausgetaubt“ sind. An diesen Jagdsteigen hat mich schon immer fasziniert, wie wunderbar sie angelegt sind. So etwas nimmt man intuitiv beim Gehen auf und damit wächst auch irgendwie die Verbundenheit mit der Zunft.

Die Frage, wie die Jägerschaft wahrgenommen wird, ist immer auch eine Frage der Auswahl der Repräsentanten. Wer steht für die Jäger zum Beispiel in den sozialen Medien? Die sich dort mit Elefantenstoßzähnen fotografieren lassen, demolieren diese Wahrnehmung nachhaltig. Im konkreten Dokumentarfilm teilten alle Jäger, mit denen wir unterwegs waren, eine Nähe zur Natur, die mir großen Respekt abverlangt. Die Hälfte davon waren Berufsjäger, die viel Zeit allein dort oben im Gebirge verbringen. Wer sich auf dieses Alleinsein einlässt, ist in den seltensten Fällen ein schlechter Jäger, denke ich. Vielleicht ist das auch eine Stärke des Films, dass keine „Sonntagsjäger“ und keine „Trophäenfetischisten“ gezeigt werden, deren Motivationslagen mich auch nicht wirklich interessieren.

Das von Jägern erlegte Wild wuchs artgerecht auf und wurde durch einen präzisen Schuss getötet, ohne diesen auch nur mitbekommen zu haben. Trotzdem verabscheuen viele Wildfleisch und kaufen lieber abgepackte Schnitzel beim Lebensmittelhändler. Wie kann man diese Diskrepanz bei Tierwohl erklären?

WT: Das ist einfach Resultat einer bigotten Kultur, die den Tod aus dem Leben verbannt hat. Er ist zwar überall in den Medien, nur im Leben ist er ein Skandal. Wir stopfen geometrisch verpacktes Fleisch aus Massentierhaltung in uns hinein und schreien auf, wenn wir mit dem Tod konfrontiert werden. Ich bin kein Vegetarier, versuche jedoch, meinen Fleischkonsum zu minimieren und achte darauf, woher das Fleisch kommt, das ich esse.

Welchen Rat können Sie der Jägerschaft mitgeben, wieder als das wahrgenommen zu werden, was sie ist: Nahrungsbeschaffer im Einklang mit der Natur?

WT: Rat maße ich mir keinen an. Ich finde, wir sollten jedem Lebewesen mit Achtung begegnen. „Im Einklang mit der Natur sein“ – das klingt gut. Nur: Der Schuss ist die Unterbrechung schlechthin. Da gibt es kein Zurück. Und auch keine Halbheiten. Das muss uns klar sein, wenn wir das Gewehr in die Hand nehmen. Die Rewind-Taste gibt es nicht.

Danke für das Gespräch.

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2 Antworten zu “Meditationen über die Jagd”

  1. Ein sehr schöner, poetischer Film über ein Thema, das mir bislang eher fremd war. Das „Anspringen“ eines Auerhahns ist mir dabei besonders in Erinnerung geblieben. Vielleicht, weil es mich an das Kinderspiel Donner-Wetter-Blitz erinnert, das auch in der Netflix Serie „Squid Game“ in einer ebenfalls recht eindrücklichen Weise vorkam. Aber was weiß ich schon über die Tiefen meiner Synapsenschaltungen…

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